Kurzkurzgeschichten

Regentropfen tropfen uniform im Regen. Blau-silberne Strahlen die sich unentwegt auf das Herz dieser Welt bewegen. Es war ein Herz aus Stahl, eines aus Metallen aller Art. Mit Venen aus Lapis, Kanülen aus Zinnober, Adern aus Onyx. Wo das Blut aus feurigster Glut. Ein Herz nicht gehärtet durch das Leben, sondern geschmiedet vom Schicksal. Ein Herz das nicht erlaubt war von den Sternen zu träumen sondern in kalter Universumskälte den braven Trabanten zu mimen. Die Andromedanebel zwar zu atmen, aber ihrem Ruf nicht folgen zu dürfen. Leben ist Tragödie. Und nichts war so sehr am Leben, wie dieser Zusammenschluss an Kohlenstoff und Bindungen.

Ein Rehkitz flauscht sich an die schützende Seite seiner rehernen Mutter. Es denkt: “Liebe. Zuhause. Mama. Liebe.” und knolft vor Zuneigung. Ihre Augen sind grün und halten an ihrer Mutter fest, als ob sie eine fallende Porzellanvase wäre. Es blickt sehr angestrengt und versucht dieses Bild für immer in eine ihrer Tränen einzufangen. Es gelingt.

Man soll jeden Tag so leben, als wäre es der letzte. Also der letzte von jemandem anderen. Als würde jeder den man liebt, am nächsten Morgen um 8 Uhr, eine Kugel in den Kopf kriegen. In diesem Wissen sollte man rumwatscheln. Weil nur so kriegt man die Perspektive, die diese verdrehte Welt wieder richtig biegt. Das Liebe genauso wie der Tod kein Feature des Lebens ist. Es ist seine eigene Welt, abseits von allem anderen. Leben und Sterben und Lieben existieren parallel. Wir können nur die Wechselwirkungen beschreiben. Der Tod beendet das Sein und die Liebe bedingt das Leben. Dann ist das Leben nur der Ort an dem wir die Wirkungen beobachten können. Somit ist das Gegenteil von Sterben Lieben.

Sinuskurvenerkenntnisse sind Erkenntnisse die man nur findet wenn sin’(x) gleich null ist. Sie beinhalten eine hochgradige Erkenntnis über das Verhältnis von Gefühlen zu Wahrheit mit einer gratis Meta-Analyse für das Stickerbuch des Lebens. Nicht nur darf man erkennen wie fragil die menschliche Existenz wirklich ist, sondern man erfährt, dass manche Sachen nicht endgültig argumentiert werden können. Aber es ist nicht so, als ob alles vor den Sinuskurvenerkenntnissen zerbrechen würde. Nur die Prinzipien nach denen wir leben, halten einfach nicht stand. Fallen auseinander sobald man sie auch nur ein bisschen genauer betrachtet. Weil wir alle Hornochsen sind. Wir spielen Maumau, in einer Welt aus Schach.

Manche Leute haben ein Ziel. Einen eindeutigen Platz in dieser Welt. Eine Aufgabe die ihnen das Schicksal persönlich erteilt hat. Die mit brennendem Schwert durch die Dunkelheit ziehen. Ich bin auf der Queste mit meinen Fingern eine komplexe Melodie klopfen zu können. Und manchmal verliere ich den Glauben, dass es machbar ist. Finger sind einfach zu banal, komplexe Melodien benötigen mindestens zwei Geigen und ein Klavier. Doch dann schaue ich zu den Sterne und erkenne wieder wieso ich begonnen habe. Für alle die zuvor gescheitert sind. Auf deren Schultern ich stehe. Dann begreife ich das Ausmaß meiner Verantwortung und schreie dem Polarstern meine Hingabe entgegen. Welt, du kannst dich auf mich verlassen.

Ich bin oberflächlich. Wahrheiten sind aus den tiefsten Gefängnissen der Kristallkavernen meiner Seele entkommen, haben sich durch alle sieben Höllen zur Oberfläche gekämpft und sind nun in bitterster Seenot im Jetzt. Die Häfen sind geschlossen, aber ein Nordwind zieht auf. Kompass zeigt nach oben.

Die Humpen standen verwaist auf den Tischen als die Tavernentür aufschwang. Ein sanfter Geruch von Zimt erfüllte den Raum, wie braune Augen eintraten. Traurige Mundwinkel verfolgten traurig die braunen Haare, als einer von ihnen erkannte wer sie waren. Es ging ein Raunen durch die Menge. Geflüster und Gemunkel durchzog die anwesenden Ohren, wie der braune Bart auf langen Schritten zum Wirt marschierte. Er war groß wie ein Hüne neben einer Düne, hatte aber doch eine Eleganz wie ein Tanz. Seine Ausrüstung war die eines Abenteurers, neben einem unscheinbar prall gefülltem Gürtel voller Utensilien aus Sizilien und einer spektral leuchtenden fünffachen Sammlung von Jonglierbällen hatte er sich einen großen spitzen Stab auf seinen Rücken geschnallt, von dem noch frische Tinte tropfte. Mit einem großen Pflatsch warf er ein schlagendes Herz auf den Tresen. Stille. Nur ein Pochen, Pochen. Auf einmal ein Aufschrei, ein Brüllen, ein Jubeln. Gelächter schwappte wie eine glückliche Welle durch die anwesenden Kehlen. Schlanke Hände holten Instrumente hervor und begannen zu spielen, wie eine wunderschöne Stimme ein wunderschönes Lied anstimmte. Lippen wurden rot nachgezogen, wie den Fenstern verheißende Verse entflogen:

in grauer Welt ein Herz zu tragen
wollte lange lange keiner wagen
doch nun ist einer Herzensträger
mit rehernen Augen Gefühlsjäger
auf den Spuren des Zwielicht
bis dorthin wo die Welt bricht
um uns zu bringen was wir verloren
wir ihn erkoren

Wir sitzen an der Kippe einer Klippe. Wie zwei Möwen die sich mögen. Das Meer unter uns stößt vermehrt gegen den weißen Stein, der nichts zu wissen scheint. Von all den großen Hässlichkeiten unweit der Küste. Wo beste Freunde sich bekämpfen und die besten Kämpfer sich befreunden. Wo Liebe sich im Dunkeln versteckt und all den Schmerz unter nackten Körpern bedeckt. Nicht so hier. Hier halten vier Augen fest zwei Hände, in Verbundenheit, die die Wunden heilt. Und plötzlich tobt um uns ein Sturm. Wir blicken uns an und lassen uns treiben, geben uns selbst den Trommelwirbel wie der Orkan uns hochwirbelt. Auf einmal Stille. Blau. Weiß. Ein Vogel frisst mir die Wut und dir die Sorgen aus der Seele. Und auch wenn wir wieder zurückfallen, sind wir frei.

Derbe Kanten zeichnen den Umriss eines grauen Wesens. Seine raue Oberfläche glänzt nicht wenn die Sonne auf ihn scheint, sowie sein Schatten keine Täler bedeckt. Er ist keiner seiner großen Brüder. Und doch fließt derselbe Kies durch seine Venen, der schon seiner granitenen Familie den Sieg über das Gras und die Blumen ermöglichte. Nun hockt er neben der Wurzel eines hölzernen Riesen und betrachtet den Sonnenuntergang. Schwelgt in Erinnerungen an Tage, an denen der Wind liebevoll um ihn tanzte, Malachit kein fernes Verlangen bedeutete und er im Sturm noch die Sonne sah. Und doch läuft kein Kiesel über seine Wangen. Denn sein Volk weiß schon lange: Was gut ist vergeht und nichts steht für immer. Der Preis für Leben ist Streben und die Folge von Werden ist Sterben. Über die Äonen zu zerbröseln lässt einen von Gut und Böse lösen. Somit ist was ist und was nicht ist kann nicht sein und was wird das wird. Felserne Wahrheiten, die die Tränen zurückhalten. Wie lange bevor sich das erste Kalkmolekül auf seine eigene Reise macht? Zehntausend Jahre? Weniger? Deshalb genießt er in bittersüßer Melancholie jeden Sonnenuntergang vor seinem unaufhaltbaren Einzug in die ewigen Salzminen.

Van Weidenholz : Auszüge Ich erzähle gerne die Geschichte, wie ich meine Mannschaft einst aus den Klauen der Bücherdämonen rettete. Nachdem ich entgegen den Anfeindungen meines Erzrivalen Gustavo Gutentag ins Geschäft mit dem legendären Erfinder des geschriebenen Wortes Johannes Gutenberg um die letzte verbliebene Gutenberg-Bibel gekommen war, steuerten wir für den Handel eine verborgene Bucht an. Wie wir dort Gutenberg trafen, er seine Hand ausstreckte und mich mit den Worten „Guten Tag.“ empfing, blieb mir fast das Herz stehen, bestürzt darüber wie weit der Einfluss meines Erzfeindes schon reichte und erschoss ihn an Ort und Stelle. Damit stellte sich auch heraus, dass es nicht sein vermeintlicher Genius war, der ihn zu dieser historischen Figur aufsteigen hatte lassen, sondern eine große Anzahl an etwaigen Pakten und Verträgen mit Tintenmonstern und Wortkreaturen, die nun aus seinen sterbenden Augen tropften und die Verfolgung aufnahmen. Darauf folgten heroische Opferungen (nicht meinerseits), nautische Glanzleistungen (gänzlich meinerseits) und eine vollkommene Aussiebung der chronischen Lügner unter meiner Mannschaft, welche eindeutig zu kurze Beine für diese glorreiche Flucht hatten. Alles in allem reduzierten wir den dämonischen Bestand dieser Welt drastisch, was uns nicht nur viele Türen in der katholischen Kirche öffnete, sondern auch eine deftige Klage des Artenschutzes einbrockte.

Es war dunkel geworden und meine Schwester unauffindbar. Keiner hatte sie gesehen und keiner gehört. Als hätte sie sich in ihrem Unglück einfach in Luft aufgelöst, wäre davongeflogen, wie einer der Vögel, von denen sie so gerne zeichnete. Vielleicht konnte sie nun tatsächlich die Freiheit schmecken, von denen ihr die Fäuste unseres Vaters die letzten Jahre zu erzählen schienen. Dieses beständige Talent, jene unnachgiebige Begabung, selbst im trübsten Licht die Farben zu sehen, hatte sie zu dem still schlagenden, blutroten Herz unserer Familie gemacht.

Sie saßen im Bett und blickten sich an, schworen sich Treue egal wo, egal wann. Er mit dem verträumten Blick und den herbstbraunen Haaren, sie mit den himmelblauen Augen und dem Versprechen, dass sie sind und nicht waren. So saßen sie sich gegenüber und er sagte: “Ich liebe dich sehr.” Ihre Augen kein Himmel, sondern ein Meer. Und lange bevor sich die ersten Schluchzer aus den Kehlen krallen, waren sie sich bereits in die Arme gefallen.

Ich bin eine Katze. Schnurr. Mein Fell ist asphaltschwarz und in der Nacht sind meine Augen heller als jede Straßenlaterne. Ich lebe in eurer Welt, aber ihr nicht in meiner. Ich habe Angst vor euren Füßen, ihr nicht vor meinen Pfoten. Ich streife elegant durch die Dunkelheit, wie ihr plump den Tag durchwacht. Ich stamme von mächtigen Raubkatzen ab und ihr von Affen. Ich miaue über euch. Gerade warte ich auf einer karminroten Schindel, die noch warm von dem verblasstem Licht des großen Feuerballs ist und blicke in den Abendhimmel. Atme die Luft einer neuen Nacht ein, die nach Zimt und Geschichten riecht. Ich sehe die Sterne und sie sehen mich. Ich bin ich. Ich bin frei, während ihr gefangen seid. In euren Köpfen, euren Beziehungen. Euren Unzulänglichkeiten. Und würdet ihr erkennen, dass der Mond der Schlüssel zu euren Herzen ist, dann würden wir gemeinsam auf dieser Schindel sitzen. Doch hier bin nur ich.

Vogelgezwitscher, Feuergeprassel, Palmengetuschel. Hier ist alles in Bewegung. Äffchen tanzen durch die Wälder und Eichhörnchen tanzen mit. Fell und Flausch, Hand in Hand. Ein leichter Nordwind verträgt drei Blätter unter eine Palme. Eine letzte Reise. Die Chloroplasten bereits im Gehen, das Grün nicht mehr zu sehen, bald kommt die Dunkelheit. Doch noch geht die Sonne auf. Ein Büschel Bananen auf der Palme darüber beobachtet seit vielen Monden schon die anstürmende Gischt, Pferde aus Lapis und Aquamarin. Von den Fischen verflucht, bei den Menschen verrucht. Sie werden ihren Platz finden, wohl nicht an der Küste. Unter den Bananen marschiert eine kleine Echse einem unbekannten Ziel entgegen. Hier muss niemand auf seine Uhr schauen; die interessantesten Apparaturen lassen sich am Boden finden. Und Zeit gibt es hier auch nicht, des Menschen unsäglichste Erfindung. Alles in Bewegung. Die Echse wandert über einen Stein, an welchem die Äonen vorübergegangen sind. Für einen Stein ist sein nur Form. Ob Berg oder Kiesel, alles ist und alles was ist, ist gleich. Steine sind gute Begleiter; sie urteilen nicht. Sitzen nur da und schauen in die Tiefen des grünen Meeres. Betrachten die Kraken beim Warten auf bessere Gezeiten. Sehen den Möwen beim Flattern zu. Den Delphinen beim Springen, den Walen beim Tauchen. Eine leichte Brise bringt die Gerüche der Ferne mit sich. Zimt, Nelken, Orangen.