Kanaldeckel heben sich selten. Das ist eine Konstante dieser Welt. Alle Jubeljahre kommt vielleicht der Kanaldeckelmann und tauscht ihn aus, manchmal treibt es die stärksten aller Ratten aus ihnen hervor, um dann überfahren zu werden, hie und da gibt es eine Fluktuation auf der elementarsten Ebene des Deckels und ein Deckelmolekül ploppt plötzlich in der Karibik auf. Aber sie heben sich selten. Und das ist eine Schande. Denn der Grund dafür liegt in Gedanken über Abfall, Gestank, Krankheit. Über Kacke, Kotze, Müll, Gefahr, Dunkelheit, einer erlischenden Lampe. Und nur die Gefahr zerschellt nicht an der Realität. Ein gutes Abenteuer ist nicht ohne Hindernisse, nicht ohne Herausforderungen. Es ist wie, wenn das Geld am Pokertisch fehlt. Russisches Roulette ohne Kugel. Sex ohne Liebe. Tanzen ohne Musik. Leben ohne Sterben. Wenn die Wahrscheinlichkeit dem Tod zu begegnen gegen Null tangiert, macht nichts Sinn. Doch sobald sich der Kanaldeckel hebt, trianguliert nichts mehr. Eine reale Chance abzukratzen, von der ersten Minute weg. Genickbruch bei Leiterbestieg. Existenzkrise durch Finsternis. Keine Beine durch hungrige Ratten. Von den wenigen, die den Deckel überhaupt heben, kommt jeder Zehnte weiter. Alle anderen tot oder verloren durch Krokodil, Lepra, Boogieman. Selbstmord durch Flederhaus mit zu großem Kredit. Suffokation durch Schnorcheln. Tödlicher Asthmaanfall durch Atmen. Hier leben ist für ein Leben gefährlich. Doch es ist es wert. Denn abseits der Attraktionen und Touristen, der Bürger und des Alltags findet man Schätze, die sonst einsam wären. Kanaldrachen und tollkühne Hühner, luminiszierende Libellen und Quartett-Quallen. Hier findet jeder was er sucht. Das echte Leben, so wie es uns in den Büchern versprochen wurde. Nicht diesen Mummenschanz außerhalb, mit ihren zur Schau gestellten Gefühlen, ihren nackten Körpern, ihrer Eile, ihrem Stress. Hier gibt es Wahrheiten die sich wirklich bewahrheiten, nur echte Freunde, die einem immer zuhören und Liebe, so viel Liebe. Wo ein Kuss die Welt ist und doch nicht so kompliziert. Wo jeder sagt was er denkt, weil nichts verboten und jeder nett ist. So nett. So furchtbar nett. Es gibt Trockenbögen, Zweihörner, keine Säcke an Gold, aber Töpfe mit Gulasch, und das Gras ist auf der anderen Seite genauso wenig grün wie auf deiner. Wo Edelsteine und andere Schönheiten in den tiefsten Höhlen auf ihre neuen Besitzer warten, wo nur Ästhetik zählt. Keine Regeln, kein Zwang. So wie das Leben ursprünglich gedacht war. Und das ist keine Interpretation, das weiß man von dem ein oder anderen Schöpfer, den man hier trifft. Sie bleiben auch lieber unten, weg von all dem Lärm. Doch sie tun es in tiefstem Respekt und Demut vor diesem Ort. Auch sie wissen dieses Geschenk zu schätzen. Die wunderschönen Nebelaufgänge, die Lapisflüsse, die Granitherzen. Die Schiefer-Schluchten, die Lavaseen, die Emerald-Buchten, die Diamantkrähen. Wenn es leise genug ist kann man die Tiere hier verstehen. Doch dafür braucht es eine Stille, die nirgendwo anders gefunden werden kann. Vielleicht sollten wir dankbar dafür sein, dass sich Kanaldeckel so selten heben. Irgendwer würde es kaputtmachen wollen und wir müssten zu unseren Saphirschwertern greifen, die Obsidianrüstung auspacken und mit steinerner Faust Kiefer einschlagen. Und glaub mir, ich würde kämpfen. Mit Feuer und Flamme den gerechten Arm schwingen, um das zu verteidigen was so tief Fuß gefasst hat. Sie würden nie gewinnen. Doch verlieren auch nicht. Ich würde dich nie verlassen um den finalen Schlag zu verpassen. Das könnte ich dir nicht antun, ich hätte viel zu viel Angst um dich. Deswegen würden sie immer wiederkommen, mit falschen Versprechen und Bosheit. Sie fürchten was sie nicht kontrollieren können und uns beide, niemals. Und jetzt steht ihr an unserer Tür. Und ich muss euch sagen, dass das nicht mein Kampf ist. Es tut mir Leid, ich kann nicht weg. Was wenn ich alles verliere? Ich bin anderen meine Treue schuld, ich kann euch nicht helfen. Jetzt sagt ihr, dass mir das gleiche geschehen wird. Nein, ihr kennt mich nicht. Mein Deckel hebt sich selten.