Dronomir der Bienenbarde

Dronomir der Bienenbarde summt Lieder. Lieder die Freunde um Feuer versammeln, Bösewichte in Furcht und Schrecken versetzen und sämtliche Tavernengänger dazu veranlassen etwaige gefüllte Humpen mit Pappdeckeln zu bedecken. Von ihm geht ein pulsierendes Brummen aus, welches selbst nächtens nicht verstummt. Und so fängt die Geschichte an.

Dronomir XV war wie alle Dronomirs vor ihm eine emsige Biene und Dronomir XVI sein einziger und liebster Sohn. Der Reichtum des Dronomirschen Honigimperiums ermöglichte dem jungen Dronomir Zugang zu Bildung und Bardentum und damit war sein künstlerischer Geist zufrieden. Als die Bienengötter den alten Dronomir eines Tages in einem plötzlichen Anfall von Vergeltung mittels eines bestechend tödlichen Bienenbrotes ins Grab schickten, ging das Zepter des Nektars wie bereits vierzehnmal zuvor an den Nachwuchs über.

Die Industrieimkerei ist jedoch ein mühseliges Werk und anders als alle Dronomirs vor ihm sah der letzte Dronomir in den fleißigen Bewohnern der Fabrikstöcke seines Vaters kein Umlaufkapital, sondern wohlgesonnene Gefährten. So ließ er seine adelige Herkunft schnell und ohne Wehmut hinter sich um seine brummenden Sommerabende mit auserwählten Bienenvölkern und der Blüte seines Lebens zu verbringen. Wespa. Für ihn geschaffen wie die Faust fürs Auge, fanden beide den Sinn des Lebens unter einem surrenden Bienenstock. Dronomir war Erzeuger und Vertreiber von brummenden Melodien und Wespa wurde nicht müde ebenjene nachzufragen. Nach einem langen Tag der Bienenstockpflege (ausschließlich zum Wohlbefinden der Tierchen, ohne Hoffen auf zukünftigen Honigertrag!), fanden die beiden Frieden darin, sich gegenseitig im flackernden Licht der Wachskerzen in den Schlaf zu summen.

Die Jahrzehnte zogen glücklich ins Land, doch schließlich fand wie immer auch Vater Verfall die Hintertür ins Honigparadies. Es begann schleichend, ein knirschendes Gelenk hier, ein erschlaffender Muskel dort. Die Bienenvölker verfolgten diese Entwicklungen mit größter Sorge, denn obwohl jede einzelne Biene nur Honig im Kopf hatte, begriff der Schwarm als Ganzes, dass ihr Imkerpaar nicht für die Ewigkeit geschaffen war.

Speziell die Sehne in Dronomirs rechtem Daumen war durch sein tägliches Lautenspiel in einem Stadium der konstanten Schwerarbeit. Als sie eines Tages während einer besonders beflügelten Brummsinfonie mit einem leisen Schnippen entzwei riss war das Imkerpaar untröstlich, denn ohne Daumen würden viele ihrer liebsten Melodien für immer verstummen. Diese triste Aussicht veranlasste die Bienen erstmals dazu der Idylle im Verborgenen tatkräftig unter die Arme zu greifen. Im Eilverfahren und wie immer einstimmig, bestimmte der Schwarm zwei auserwählte Tierchen, die sich im Schutz der Nacht Zutritt zu Dronomirs Daumen verschaffen sollten. Dort würden sich beide die Vorderbeine reichen und mit den Hinterfüßen je ein Ende der Sehne ergreifen. Als Dronomir am nächsten Morgen aus reiner Gewohnheit zur Laute griff, erinnerte er sich an seinen Zustand und große Enttäuschung wallte ihn ihm auf. Inmitten seines Unglücks begann jedoch sein Daumen wie von selbst mit leisem Surren eine ihrer liebsten Melodien anzuschlagen. Seine anfängliche Bewunderung war groß, doch da Wespa wieder lachend über die Blumenwiesen tanzte, gab er sich ohne Fragen damit zufrieden.

Mit steigendem Alter Dronomirs erhielten die Völker mehr und mehr Gelegenheit ihr Können zu erproben und so erwarben sie über die Jahre einen Wissensschatz der Anatomie, welcher, wenn nicht mit größter Geheimhaltung betrieben, die Akademien des Landes zur Verleihung von Ehrentiteln und der zwanglosen Freigabe von Forschungsgeldern veranlasst hätte. Einen geschundenen Lungenflügel zu betreiben war schließlich nichts anderes als eine rote Blüte mit Sauerstoff zu bestäuben. Als Dronomirs Herz sich angewöhnte in unregelmäßigen Abständen zu schlagen, sandte das Volk eine Kardioschwadron seinen Rachen hinab, um der großen Pumpe mit beherztem Brummen nachzuhelfen. Zuletzt stellte sich heraus, dass man sogar das Knistern der Synapsen mit einem gut platzierten Stachelstich ersetzen konnte. Wieder und wieder begab sich Dronomirs Körper an den Rand des Jenseits und wieder und wieder vermochten die Bienen das Uhrwerk des Lebens am Surren zu halten.

All die Bemühungen der Völker blieben für Wespa bis zuletzt unbemerkt. Sie vernahm zwar das von Tag zu Tag stärker werdende Summen aus Dronomirs Brust, doch verhalf es ihr zu noch friedlicherem Schlaf und ihre Liebe zu ihm wurde damit nur stärker. Anders als Dronomir wurde sie vom Alter für lange Zeit vergessen. Der Kredit des Lebens verjährt jedoch niemals und so bekam sie eines Morgens die Rechnung präsentiert. Nach all den Jahren hatte es der Tod eilig und innerhalb weniger Sekunden stellen sämtliche Organe ihren Dienst ein. Trotz all ihrer Kunstfertigkeit, hatten die Bienen keine Chance rechtzeitig ein Lazarett in ihrem Körper aufzuschlagen. Somit hatte der Tod selbst den begabtesten Körperkundigen dieser Welt ein Schnippchen geschlagen.

Erst wie Dronomir traurig brummend über Wespas Grab unter ihrem Lieblingsapfelbaum stand, erkannten die Bienen überrascht, dass sie eigentlich gewonnen hatten. Denn während sein summender Körper den Anschein von Trauer erregte, sah der Neuroschwadron in Dronomirs Kopf die Wahrheit: Dort tanzten Wespa und Dronomir weiter durch die nebelverhangenen Täler seines lautenspielenden Geistes. Nach den zahlreichen Eingriffen der Bienen war dies alles was übriggeblieben war und so vollbrachten die Bienenvölker, was kein Mensch je für möglich gehalten hatte: Ewige Liebe, ohne den Schmerz des Abschieds. Als der Schwarm dies begriff war seine Schuld getan und die Mission erfüllt. Eine plötzliche Wanderlust machte sich in den sechseckigen Hallen breit. Da die frischen Waben in Dronomirs Brustkorb besonders guten Halt gefunden hatten und seine geübten Stimmbänder noch immer zu besonders harmonischem Brummen zu gebrauchen waren, beschloss der Schwarm einstimmig zu gehen und doch zu bleiben.

Und so fängt die Geschichte an.