Morgenstern


etwas teilt die Wolken
mit Schwingen aus Stahl
gestoßen, nicht gesprungen
das Exil keine Wahl

und er fällt und fällt
dieser Komet aus Licht
viel zu schnell, viel zu weit
eine Schwinge sie bricht

einst so edel und erhaben
jetzt verletzt und verloren
durch göttliche Hand
zum Verräter erkoren

und nicht ein Vogel singt
wie die Erde erbebt
wie inmitten des Staubes
eine Gestalt sich erhebt

wenig mehr als ein Schatten
und ein pochendes Herz
ein erloschenes Feuer
und ein endloser Schmerz

doch zwischen alledem
blieb Leben bestehen
der Tod war bereit
aber musste gehen

ihr Kampf ist verloren
ihr Wille entzweit
sie schließt die Augen
und fällt in Dunkelheit

Erwachen an einem Ort
den die Sonne nicht kennt
einem pechschwarzen Ort
an dem sich selbst ein Schatten verrennt

wo nur die düstersten Knospen
Blüten tragen
und finstre Kreaturen
das Zwielicht jagen

wo die Ewigkeit herrscht
und der Wahnsinn regiert
eine einsame Gestalt
den Verstand verliert

vom Heer der Heere
hierher verbannt
oder vom Schicksal
hierher gesandt?

in geschundene Haut
bohren sich glühende Krallen
Frage wie Antwort
waren nicht gefallen

endgültig ringt die Leere
jeden Gedanken nieder
eine Gestalt schreit
wieder und wieder und wieder

der zerrissene Geist
träumt von Blut und Rache
von Freunden und Feinden
von der guten Sache

von strahlenden Mächten
die unangreifbar schienen
und von eiskalten Wesen
die den Tod verdienen

zwei gleißende Striche
wie Leuchttürme sind
welchen Glut und Asche
aus den Augen rinnt

ihren Zweck nicht erfüllt
nun eine Faust sich ballt
ein lautes Lachen
von fehlenden Wänden hallt

eine Gestalt steht auf
wird von der Schwärze erkannt
welche das enthüllt
was bis jetzt in Stille gewandt

einen verlassenen Ton
ein vergessenes Lied
ihr Grinsen wird breiter
ihr Ziel sie jetzt sieht

sie würde der Melodie folgen
und zu ihr tanzen bis zum Schluss
mit Feuer im Blick
auch wenn die Welt dafür brennen muss

Füße steppen
im Takt verflossen
Gefühl wie Rhythmus
in Bewegung gegossen

Krallen schnippen
ohne Richtung
schwingende Beine
kommen zu einer Lichtung

in ihrer Mitte
ein Stein mit Gravur
geschlagen in Granit
ein Versprechen, ein Schwur

“wen das Licht lässt fallen
nimmt die Dunkelheit gern
des Himmels Feind
ist der Finsternis Stern”

mit diesen Worten
trat ein Weg hervor
aus verkohlten Stümpfen
schossen Flügel empor

unter Schwingenschlag
stiegen Klaviere mit ein
aus gewaltigem Luftzug
kamen Bratschen zum Sein

und die Terze erzittern
vor einem Glockenschlag
aus verblasstem Nebel
eine Kathedrale ragt

so findet sie sich wieder
eine Gestalt vor einem Tor
etwas nimmt ihre Hand
flüstert in ein Ohr

“sie vergaßen wer sie waren,
sie verloren was sie hatten”
eine Gestalt verneigt sich
vor dem Orchester der Schatten

die Verbeugung wird erwidert
mit Figur wie mit Klang
jetzt die Menge der Spieler
sich zur Seite schwang

damit vage ersichtlich
eine Kontur, verschwommen
ein leerer Thron
eine Kerze, zerronnen

und die Schatten jubeln
wie eine Gestalt erkennt
zu neuen Brüdern
eine Gestalt sich bekennt

über dem Thron
erhebt würdig den Docht
aus dunklem Kuss
ein Flämmchen pocht

nun kniet eine Welt
vor Flämmchen, Flamme
das Orchester tobt
in vollem Gange

eine Gestalt in Ekstase
die Schatten im Wahn
Instrumente zerbeißend
trifft Kontrabass Zahn

Cello weicht Schwert
einen Engel verloren
Träne weicht Lachen
einen Teufel geboren