Morgenstern
Ⅰ
etwas teilt die Wolken
mit Schwingen aus Stahl
gestoßen, nicht gesprungen
das Exil keine Wahl
und er fällt und fällt
dieser Komet aus Licht
viel zu schnell, viel zu weit
eine Schwinge sie bricht
einst so edel und erhaben
jetzt verletzt und verloren
durch göttliche Hand
zum Verräter erkoren
und nicht ein Vogel singt
wie die Erde erbebt
wie inmitten des Staubes
eine Gestalt sich erhebt
wenig mehr als ein Schatten
und ein pochendes Herz
ein erloschenes Feuer
und ein endloser Schmerz
doch zwischen alledem
blieb Leben bestehen
der Tod war bereit
aber musste gehen
ihr Kampf ist verloren
ihr Wille entzweit
sie schließt die Augen
und fällt in Dunkelheit
Ⅱ
Erwachen an einem Ort
den die Sonne nicht kennt
einem pechschwarzen Ort
an dem sich selbst ein Schatten verrennt
wo nur die düstersten Knospen
Blüten tragen
und finstre Kreaturen
das Zwielicht jagen
wo die Ewigkeit herrscht
und der Wahnsinn regiert
eine einsame Gestalt
den Verstand verliert
vom Heer der Heere
hierher verbannt
oder vom Schicksal
hierher gesandt?
in geschundene Haut
bohren sich glühende Krallen
Frage wie Antwort
waren nicht gefallen
endgültig ringt die Leere
jeden Gedanken nieder
eine Gestalt schreit
wieder und wieder und wieder
der zerrissene Geist
träumt von Blut und Rache
von Freunden und Feinden
von der guten Sache
von strahlenden Mächten
die unangreifbar schienen
und von eiskalten Wesen
die den Tod verdienen
zwei gleißende Striche
wie Leuchttürme sind
welchen Glut und Asche
aus den Augen rinnt
ihren Zweck nicht erfüllt
nun eine Faust sich ballt
ein lautes Lachen
von fehlenden Wänden hallt
eine Gestalt steht auf
wird von der Schwärze erkannt
welche das enthüllt
was bis jetzt in Stille gewandt
einen verlassenen Ton
ein vergessenes Lied
ihr Grinsen wird breiter
ihr Ziel sie jetzt sieht
sie würde der Melodie folgen
und zu ihr tanzen bis zum Schluss
mit Feuer im Blick
auch wenn die Welt dafür brennen muss
Ⅲ
Füße steppen
im Takt verflossen
Gefühl wie Rhythmus
in Bewegung gegossen
Krallen schnippen
ohne Richtung
schwingende Beine
kommen zu einer Lichtung
in ihrer Mitte
ein Stein mit Gravur
geschlagen in Granit
ein Versprechen, ein Schwur
“wen das Licht lässt fallen
nimmt die Dunkelheit gern
des Himmels Feind
ist der Finsternis Stern”
mit diesen Worten
trat ein Weg hervor
aus verkohlten Stümpfen
schossen Flügel empor
unter Schwingenschlag
stiegen Klaviere mit ein
aus gewaltigem Luftzug
kamen Bratschen zum Sein
und die Terze erzittern
vor einem Glockenschlag
aus verblasstem Nebel
eine Kathedrale ragt
so findet sie sich wieder
eine Gestalt vor einem Tor
etwas nimmt ihre Hand
flüstert in ein Ohr
“sie vergaßen wer sie waren,
sie verloren was sie hatten”
eine Gestalt verneigt sich
vor dem Orchester der Schatten
die Verbeugung wird erwidert
mit Figur wie mit Klang
jetzt die Menge der Spieler
sich zur Seite schwang
damit vage ersichtlich
eine Kontur, verschwommen
ein leerer Thron
eine Kerze, zerronnen
und die Schatten jubeln
wie eine Gestalt erkennt
zu neuen Brüdern
eine Gestalt sich bekennt
über dem Thron
erhebt würdig den Docht
aus dunklem Kuss
ein Flämmchen pocht
nun kniet eine Welt
vor Flämmchen, Flamme
das Orchester tobt
in vollem Gange
eine Gestalt in Ekstase
die Schatten im Wahn
Instrumente zerbeißend
trifft Kontrabass Zahn
Cello weicht Schwert
einen Engel verloren
Träne weicht Lachen
einen Teufel geboren