Eklipse

was brechen kann das bricht
in welt ohne licht

Die Kerze auf dem Tisch flackert wild. Benachbart sitzt eine schweigsame Orchidee auf einem Fensterbrett und tänzelt gezwungen vor sich hin, öffnet ihre Blüte nach einem verborgenen Paradigma, graviert mit ihren Blättern traurige Muster von komplexer Schönheit in die Luft. Ein Mann sitzt auf einem Sessel an einem Tisch daneben. Sein Blick ist ungebrochen auf sein Gegenüber gerichtet. Ein Mädchen. Eine Frau. Ihre Augen wie zwei brennende Rosen. Die Diamantfasern ihrer Ziliarmuskeln bis zur Vollendung geschliffen, ihre Pupillen ein Meisterwerk aus Stoff und Faden. Ihr Blick sticht und umgarnt zugleich. Während er versucht sie zu sehen, wie sie ist, blickt sie an der Blume vorbei in ein Crescendo an Licht. Gelbtöne überschlagen und brechen sich an der Glasscheibe, wie die verschiedensten Töne von Rot sich vereinen. Mit Ziegel- und Burgunderrot vermengt, fliegt das Bild eines pulsierenden Balls an Zwielicht durch ihre Augen. Eine helle Wunderschönheit. Eine Sonne, lebendig und mächtig, von fröhlichen Irrlichtern aller möglichen Formen umwirbelt. Wie die Frau beginnt, den Moment in ihr Herz zu meißeln, erkennt sie die Wahrheit und erstarrt. Und schluchzt. Und weint. Beißende Tränen fließen ihre purpurnen Wangen hinab, wie der Merlot durch die lechzenden Kehlen des Raumes. Ungeachtet des fallenden Regens sieht sie die dargebotene Hand des Mannes und wie in der Ferne die Farben tanzen, so finden ihre Hände ineinander.

Die Orchidee richtet ihre Brille gerade. Etwas ist anders. Sie sucht den Raum konzentriert ab. Irgendetwas stimmt hier nicht. Sie nimmt noch einen Bissen von ihrem Steak. Blickt auf und fängt leise zu lachen an. Denn die Kerze flackert nicht mehr. Eine Frau sitzt auf einem Sessel an einem Tisch daneben. Der Sessel ist bezogen mit karminroter Seide und bildet mit schwarzem Stoff Kreaturen ab, die den Kellnern täuschend ähneln. Sie aber, sieht nur die braunen Augen des Mannes gegenüber. Wie zwei neugierige Rehe blicken die Augen zurück. Aus einem melancholischen Holz geschnitzt, erinnern sie an das, was war. Wie das Licht einem Wasserfall gleichend durch die Welten zog. Die Schatten im Schatten blieben. Die Zukunft voller Wunder schien. Durch nostalgische Illusionen miteinander verwurzelt, fällt ihnen nichts anderes auf. Einen Tisch weiter beschwert sich eben ein Herr, dass sein Champignon höflicher sei als der Kellner, während der Pilz das Kompliment mit einem bescheidenen Nicken entgegennimmt. Daneben starrt eine junge Dame fasziniert in die stille Kerze ihres Tisches. Sie zeichnet mit ihren Fingern behutsam die Form der Flamme nach, während diese ihr eloquent die bestechenden Vorteile der Selbstentzündung darlegt. Anderswo grinst ein Junge seinen Burger an. Der Burger grinst zurück. Keiner blickt aus dem Fenster. Niemand will den Riss sehen. Niemand will erinnert werden. An das Ende des Weines und den Anfang der Tränen. Sie verlaufen sich lieber in den verworrenen Gängen ihrer eigenen Geschichten. Reden, ohne zu sagen. Blicken sich an, wie sie sich selbst anblicken. Und wie in der Ferne die Farben sterben, treffen sich Lippen aus Kirsch und Mahagoni.

Wachs tropft Tropfen für Tropfen auf den Tisch. Die Kerze liegt im Sterben. Die Orchidee wischt sich mit einer Serviette das Blut vom Maul. Der Raum ist erfüllt von einer Dunkelheit, in die es selbst ein Wolfsrudel nicht wagen würde hineinzuheulen, aus Angst davor, was zurückheulen würde. Rabene Schwärze verwischt die Grenze zwischen Essen und Gegessen werden. Geifernde Gestalten kauern an gedeckten Tischen. Zähne sind im Überfluss. In dieser Welt sind Worte nur mehr Laute. Gibt selbst die Stille keine Ruhe mehr. Ist der Teufel nichts als tot. Zwischen lauschenden Ohren und suchenden Pupillen herrscht die Erkenntnis, dass wenn Tod dein Schicksal ist, Leere das Versprechen sei. Inverse Echos wiederholen diesen Einblick, bis ihnen Flügel wachsen und sie den Sternen nachgieren. Keine Wände halten mehr, wohin die Fenster des Raumes sehen. Hinter Spiegel die Spiegel spiegeln, wo Geheimnisse sich mit Wahrheiten paaren und zu Lügen werden. Unter die Wassermassen der Weltmeere, wo Anglerfische Fische angeln und die Knochen gefallener Wale phosphoreszierend von Blitz und Donner träumen. Sie sehen den kondensierenden Atem eines Braunbärjungen, das verzweifelt versucht, seine verletzte Mutter zu beschützen. Vor Ort hat eine junge Dame die Dunkelheit verinnerlicht, hält ihre Hand selig in eine tote Flamme, zergeht in fröhlicher Asche. Ein Junge tanzt Tango mit seinem Burger. Kellner und Champignon liefern sich ein beidseitig tödliches Duell. Wobei der Pilz als Champion sein Leben lässt. Ein Mann sitzt nicht mehr auf einem Sessel an einem Tisch daneben. Eine Frau genausowenig. Jene Augen, die noch nicht auf die Jagd gegangen sind, können die beiden nicht mehr auseinanderkennen. Sie sind Teil geworden. Teil gewesen. Immer schon, untrennbar. Und wie ganz nah die Dunkelheit erblüht, zerfließen Herzen aus Blut und Zimt.